Reise nach Sardinien (10. bis 17. Oktober 2017)

10.10.2017

Sardinien
Insel der Nuraghen, der Myrten im Likör,
Korkeichenwälder am smeraldablauen Meer,
Murales Gesichter gemalt im Stein –
ein fotografischer Sandalyon in den Pool tritt ein.


Damit ist eigentlich bereits Sardinien in Gänze beschrieben. Jedoch würden wir der Fahrt nun wirklich
nicht gerecht, wenn wir es bei dieser Beschreibung der zweitgrößten Insel im Mittelmeer beließen.
Nicht nur die Landschaft und Farben sind bewegend und vielfältig, auch die Geschichte und Dialekte
der Insel, die ihrer Form wegen nach einer „Sandale“ benannt wurde.


Beginnen wir von vorne:
Knapp 70 Mitglieder und Angehörige der Frauen-Union NRW machten sich im Herbst 2017 auf den
Weg, per Flugzeug von Köln/Bonn bzw. Düsseldorf aus nach Olbia, Italien. Die Stadt mit Hafen und
Flughafen ist die viertgrößte Ortschaft der Insel – eine blühende Industrie- und Handelsmetropole an
der Nord-Ost-Küste Sardiniens.


Von dort aus ging es in bequemen, sehr modernen Reisebussen weiter entlang der Costa Smeralda zum Club Hotel Baja Sardinia. Das vier-Sterne Hotel liegt mit traumhaftem Blick direkt an der Bucht
von Baja Sardinia und lässt keine Wünsche offen. Auch der bezaubernde Ort, mit dem Flair der
Nachsaison, lädt zum Verweilen ein. Bei dem Willkommenstreffen in der Lobby des Hotels lernen sich
die Mitreisenden kennen, alte Bekannte sehen sich wieder und der Ablauf der nächsten Tage wird
besprochen. Natürlich darf der Empfangscocktail – wie gewohnt, ein typisches Getränk aus der
Region - nicht fehlen. Auf Sardinien ist es üblich, dass man zu den georderten Getränken Snacks dazu
bekommt. Bei unserem Hotel waren diese Snacks eine ganze Mahlzeit, bestehend aus verschiedenen
sardinischen kulinarischen Leckereien, süß und herzhaft.


I. Ganztagesausflug Costa Smeralda, La Maddalena
Nach einem ausgiebigen Frühstück am reichhaltigen Buffet macht sich die Reisegesellschaft auf, die
Insel Sardinien und die ihr zugehörige vorgelagerte Insel La Maddalena zu erforschen. Begleitet
werden wir von den beiden Guides, Daniela und Roberto.
Bereits auf dem Weg Richtung La Maddalena sind wir beeindruckt von den Felsenlandschaften und
der wunderschönen Küste. Bei einem kurzen Stopp mit einem herrlichen Panoramablick auf die
vorgelagerten kleinen Inselketten erklärt uns der Guide, dass genau hier einst Napoleon scheiterte.
Aufgrund eines geschickten Schachzugs der Inselbewohner gelang es Admiral Bonaparte zu Beginn
seiner außergewöhnlichen Karriere nicht, die Insel zu erobern.
Weiter geht es Richtung Norden nach Palau. Der mikronesisch klingende Name stammt aus einer
Zeit, in der die Fischer der Gegend sich unanfechtbare und windgeschützte Küstenstriche
aussuchten. Heute ist der Ort hauptsächlich für seinen Fährhafen, das berühmte Bärenkap, die
wunderbaren Sand- und Felsbuchten bei Porto Rafael und den Surfsport Porto Pollo bekannt.
Mit der Fähre setzen wir von Palau aus zur Insel La Maddalena, dem nördlichsten Ausläufer
Sardiniens, und der größten Insel der Archipel über. Die Schifffahrt ist ruhig und wir können den
Ausblick auf der kurzen Fahrt genießen.

Der La Maddalena Archipel, der zu Sardinien gehört, umfasst 7 größere und 62 kleine Inseln und
Inselberge. Zu sehen sind die schönsten Strände Sardiniens, mit kleinen weißen, zuweilen
pinkfarbenen Sandbuchten und glasklaren, türkisfarbenen Wasser.
Alle sind als Nationalpark zusammengefasst und stehen unter Naturschutz. Noch bis 1922 galten
diese Inseln als Malariagebiet, so dass es dort kaum Tourismus und Bevölkerung gab. Erst mit
Trockenlegung der Sümpfe konnten die durch die Punier (um 550 v. Chr.) eingeschleppten
Malariamücken verbannt werden. Das und die spätere Errichtung von Militärbasen der NATO als
Stützpunkt der Amerikaner führten dazu, dass die Natur dieser Insel noch recht unberührt ist und der
überwiegende Teil unter Naturschutz steht. Mit unserem Bus geht die Besichtigungstour der
einzigartigen Landschaft weiter, hin und wieder begegnen wir Zeugnissen der Militäraktivitäten.
Zurück zu dem größten und gleichnamigen Hauptort der Insel „La Maddalena“, wandern wir zunächst
durch die geschichtsträchtigen Gassen, um schließlich etwas Ruhe und Erholung in der schönen
Kirche St. Maria Maddalena zu finden. Die Kirche mit dem typisch für die Gegend errichteten
Altarbereich, der an ein Schiff erinnert, steht im Herzen der Stadt. Daneben befindet sich ein
Museum, in dem u.a. eine von Admiral Nelson geschriebene Urkunde ausgestellt ist. In der Nähe liegt
die Piazza Giuseppe Garibaldi mit dem Rathaus. Davor, auf einer Steinbank sitzend, ist der
italienische Nationalheld Giuseppe Garibaldi als Bronzestatue dargestellt.


Der Abenteurer Giuseppe Garibaldi 1807 bis 1882, wird heute als "Vater des Vaterlands" verehrt, war
einst zum Tode verurteilt, vorübergehend in New York und Paris im Exil, mal arm, mal reich,
zeitweise Abgeordneter, General und Gouverneur. Als Sohn eines Seemanns verdiente er sein Brot
auch als Pirat und Kaperkapitän im Dienste der südamerikanischen Republik Montevideo. Zu
erkennen war er nicht nur an seinem roten Bart, sondern der stets roten Bluse und dem runden
schwarzen Filzhut, den er trug. Gestorben ist er ganz friedlich als weißhaariger Greis im Bett. Immer
jedoch war er verhandlungs- und kompromissbereit zum Wohle der Bevölkerung. Die Einheit von
Italien soll sein Verdienst gewesen sein.
Im Eingangsbereich des Rathauses besichtigen wir verschiedene Modelle von Sarazenentürmen.
Diese wurden in der Zeit gebaut, in der die Spanier das Lehen über Sardinien hatten, in der Zeit von
1217-1718. Die Türme wurden zum Schutz gegen Piratenüberfälle entlang der Küste errichtet. Es sind
noch etwa 70 erhalten. Nun bleibt uns noch ein wenig Zeit, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden.
Mit seinen engen, schattigen Gassen und der schönen ruhigen Atmosphäre lädt das Städtchen zum
Bummeln ein. Vor allem die Fußgängerzone des alten Hafenviertels ist sehenswert. Es gibt zahlreiche
Bars, Eisdielen und kleine Läden. Am Ufer zieht sich eine mit Palmen gesäumte Promenade entlang.
Zurück geht es wieder gen Süden. Auf dem Weg zu unserem nächsten Ausflugsziel machen wir Halt
bei Arzachena, einer der Ausgrabungsstätte der „Nuragher“, der „Albucciu“. Von diesem
geheimnisvollen Volk – schätzungsweise 1800 bis 500 vor Christus - ist wenig bekannt. Sicher ist, dass
es sich um Hirtenstämme handelte. Ihren Namen erhielt diese Megalithkultur nach ihren
berühmtesten Bauwerken – den Nuraghen. Diese gewaltigen Steintürme, die es nur auf Sardinien
gibt, haben meterdicke Wände aus grob aufgeschichteten Steinblöcken. Nur ein schmaler Gang führt
hinein und Schießscharten sind die einzigen Öffnungen nach außen. Nach dem heutigen Stand der
Geschichtsforschung dienten die Nuraghen nicht so sehr der Verteidigung gegen fremde Eroberer,
sondern eher der Abwehr feindlich gesinnter Nachbarn. In der Endphase dieser Kultur wurden viele
Einzeltürme zu festungsartigen Komplexen erweitert. Weitere Bauwerke der Nuraghier sind die
Gigantengräber "Tombe dei Giganti" und die Brunnentempel. Nahe der Ausgrabungsstätte befinden
sich auch die Gigantengräber „Coddu Vecciu“ und „Li Lolghi“.

Unser Reiseführer sagt, dass die Geschichtsforscher davon ausgehen, dass die Nuragher eine
matriarchisch geführte Gesellschaft waren.
Weiter geht es – wir erreichen Porto Cervo, mit dem kleinen hübschen Hafen. Das Ferienparadies der
"Reichen und Schönen" mit exklusiven Hotels, Villen, Eigentumswohnungen, Sportanlagen und
Boutiquen aller namhaften Modedesigner ist der Tourismusmagnet in der Region.
Der Yacht-Hafen von Porto Cervo mit seinen 700 Liegeplätzen ist einer der schönsten des
Mittelmeeres. Porto Cervo wurde in den sechziger Jahren vom Prinzen Karim Aga Khan aus Saudi
Arabien gegründet, der in nur 25 Jahren aus diesem Küstenstreifen eines der berühmtesten
Ferienziele im Mittelmeer machte. Damit brachte er auch den Tourismus nach Sardinien. Dieses eher
unfruchtbare Land wurde einst den Frauen in der Familie vererbt. Als sie das Land verkauften, ahnten
sie nicht den tatsächlichen Wert. Die Stadt Porto Cervo mit ihren 300 Einwohnern an der Costa
Smeralda ist außerhalb der Urlaubssaison nahezu leergefegt, während sich dort in der Hochsaison
viele tausend Urlauber tummeln. Da wir die Stadt in der Nachsaison besuchen und bereits fast alle
Restaurants, das Café und die Geschäfte geschlossen haben, erinnert diese eher an eine
„Retortenstadt“ – künstlich nachempfunden, ohne Charme und Ausstrahlung. Dies jedenfalls ist
unser Fazit. Lustig ist die Fahrt mit der „Zubringer-Bimmelbahn“, zurück zum Bus.
Mit vielen Eindrücken kehren wir abends zurück zu unserem Domizil.


II. Ganztagesausflug Barbagia, Orgosolo
Heute fahren wir in südliche Richtung, in das „Barbarenland“. In der Barbagia, dem Hinterland,
schlägt noch das ursprüngliche Herz Sardiniens. Auf der Fahrt zeigt sich die Insel von ihrer
urwüchsigen und ungezähmten Seite. Es wechseln sich sanfte Hügel mit bizarren Granitfelsen und
weiten Ebenen ab. Bis über 1.800 Meter erheben sich die Berge.
Auf der Suche nach der Geschichte Sardiniens machen wir unseren ersten Halt in Nuoro. Die Stadt im
nordöstlichen Zentralsardinien ist Hauptstadt der Provinz Nuoro ein wichtiges Verwaltungszentrum
sowie das Tor zur Barbagia. Die Provinzhauptstadt liegt am Fuße eines wunderschönen
Granitmassivs, dem 955 m hohem Monte Ortobene. Ringsum an den Hängen breiten sich zahlreiche
Betonburgen aus den letzten Jahrzehnten aus. Nur das dicht gedrängte Altstadtviertel im Zentrum
bewahrt noch Reste seines einst so herben sardischen Charmes.
Unsere Reisegesellschafft erklimmt den Hügel von Sant'Onofrio zum Museo Etnografico Sardo, einer
der Hauptattraktionen Nuoros. In dem liebevoll gestalteten Volkskundemuseum, das eine der
interessantesten Sammlungen Sardiniens birgt, können wir Trachten, Masken, Schmuck, Textilien,
Holzarbeiten, Musikinstrumente, Haushaltsgegenstände, Arbeitsgeräte und Backwerk betrachten.
Religiöse Gegenstände lenken den Blick auf soziale und kulturelle Bedeutungen. Der Komplex besteht
aus mehreren miteinander verbundenen Häusern in der Art eines sardischen Dorfes. Tausende
Kleidungsstücke und feine Stoffe, Schmuck, Masken, Dokumente, Sammlerstücke und Kunstwerke,
größtenteils aus dem Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, zeugen im Völkerkundemuseum
Nuoro von der Kultur des Alltags, vom Musizieren und Wohnen, von den Dingen des täglichen
Bedarfs, von Arbeit und Festen, von Glauben und Aberglauben auf Sardinien. Eine Besonderheit ist
z.B. die Kopfbedeckung der Männer, die schlauchförmig wirkt. Darin verstauten die Schäfer alle
wichtigen und wertvollen Dinge, wie Geld, Tabak, etc. Somit waren sie nicht nur Kopfbedeckung,
sondern zugleich Taschen. Ammen hatten früher keine Blusen unter dem Mieder an oder diese
waren zumindest weit ausgeschnitten, so dass jeder gut die milchhaltigen Brüste erkennen konnte.
Damit haben sie praktisch geworben. Dieser Brauch ist später nicht mehr fortgeführt worden,
dennoch hatten die Mieder der Ammen einen anderen, freizügigeren Schnitt. Interessant ist auch die
Tradition, ein gebackenes Brot zur Hochzeit zu verschenken. Dieses Brot wird ein Leben lang
behalten und eingerahmt an die Wand gehängt. Die reichhaltigen, teils farbenfrohen Trachten,die
wir bewundern können, zeigen die Vielfältigkeit, weil jedes Dorf eine eigene Tracht hat.

Beeindruckt hat uns auch, in welch bescheidenen Verhältnissen die Hirten einst lebten. Eine einfache
Hütte, die an ein indianisches Tipi erinnert, diente der gesamten Familie als Wohn- und Arbeitsstätte.
Mit diesem ersten Eindruck, wie die Sarden noch Anfang des Jahrhunderts lebten, geht es für uns
weiter, tiefer hinein ins Barbarenland. Auf der Fahrt erzählt uns der Reiseleiter von einer alten – der
Überlieferung nach – bis 1952 in Ogosolo tätigten – sog. Accabadora, oftmals gleichzeitig
Hebammen, die Sterbehilfe leisteten. Die Frauen, die immer schwarze Umhänge trugen, waren dazu
da, das Leiden von Todkranken zu beenden, wenn weder Medizin noch Gebete helfen konnten. Dazu
verwendeten sie in der Regel einen etwa 42 cm langen Holz-Hammer …
Aber auch lustige Geschichten, wie z.B. die Brautwerbung werden erklärt. Hiernach musste der jung
Verliebte nach wüsten Beschimpfungen der Herren der Familie auch noch an allen andern „Weibern“
der Familie vorbei – beginnend mit den ältesten und hässlichsten - und ihnen die schönsten
Komplimente machen, bevor er mit einem traditionell ausgesprochenen Satz um die Hand seiner
„Angebeteten“ bitten durfte. Botschaften wurden von einem Hügel zum anderen teils durch geheime
Rauchzeichen übermittelt. U.v.m.


Durch das Land der Hirten, in deren Maccia die Schafe und Ziegen weiden, fahren wir vorbei an
teilweise wie Vogelnester an die Berge gebauten Dörfern in einer immer noch wenig erschlossenen
Einöde zwischen Steineichen und Edelkastanien. Und mitten in der Einöde – so dachten wir zunächst
– halten wir an. Wir werden von sardischen Hirten willkommen geheißen und mit traditionellen
Köstlichkeiten bewirtet. Dazu sitzen wir auf einfach aus langen halben Baumstämmen konstruierten
Holzbänken, jeder bekommt einen Tonbecher sowie ein Holzbrett. Junge Hirten verteilen darauf die
landestypischen Delikatessen aus eigener Herstellung. Neben Wasser oder Wein, erhalten wir
nacheinander Fladenbrot, Schinken, Salami, Kartoffeln, Schafs- und Ziegenkäse, Hammelfleisch und
Spanferkel. Dazu wird eine sardische Brotspezialität, das Pane Carasau, angeboten. Das sind
hauchdünne Scheiben im Holzofen gebackener Brote, die wochenlang haltbar sind. Zum Schluss
bekommt jeder von uns ein traditionelles Süßgebäck. Mit jedem Gang wird der Becher wieder
aufgefüllt. Entsprechend gelöst ist die Stimmung am Ende des Festschmauses. Weiterer Höhepunkt
ist das Anstimmen uralter polyphoner Männergesänge. Die Canti a tenores sind eine alte Tradition
der Hirten, bei dem ein (manchmal auch mehrere) improvisatorischer Tenor auf sardisch Verse aus
einem Gedicht vorträgt, worauf drei Choristen mit Silben antworten: eine Bassstimme, ein Bariton
und eine Altstimme. Dabei stellen sich die Männer in einem geschlossenen Kreis auf und halten sich
mit einer Hand ein Ohr zu, um ihre eigene Stimme besser zu hören. Die Motive der Texte sind ähnlich
wie die der Murales: sie erzählen vom Leben der Hirten und im Dorf, von den kollektiven Kämpfen,
von in der Fabrik getöteten Arbeitern, von der Barbagia.
Anschließend wird zur Hirtenmusik nach typischen Schrittfolgen im Kreis getanzt. Und wir sind
mittendrin. Es war einfach großartig.
Gut gelaunt geht unsere Reise weiter Richtung Orgosolo. Wieder fahren wir durch die romantische
Bergwelt der Barbagia, bis wir den berühmten Gebirgsort erreichen. Fast verschlafen schmiegen sich
die Häuser und Gassen auf 600 Metern Höhe an die Felsen des Supramonte-Gebirges. Es ist
Tradition, dass eine Familie das Gebäude erweitert – in der Regel um eine Etage – wenn sich die
Familie vergrößert. Da aber viele inzwischen nicht mehr im Ort wohnen bleiben, stehen einige
Häuser oder Etagen von Häusern leer. Das gibt dem Ort einen etwas traurigen und geheimnisvollen
ersten Eindruck. Orgosolo gilt immer noch als das berüchtigtste „Banditendorf“ Sardiniens. Die
Bewohner legen sich mit jedem an – auch mit Staat und Militär. Die Geschichte der Gemeinde ist
eine Chronik des Schreckens. Zugleich gilt das Städtchen als Widerstandsnests, im Zentrum der
Aufsässigkeit gegen die italienische Regierung. Neben Familienfehden, die wegen der Blutrache
immer wieder auflebten, war es aber vor allem die pure Not, die viele Hirten zu Banditen werden
ließen. Alleine das Gelände ist bezüglich der Weidewirtschaft sehr schwierig, hier musste irgendwie
überlebt werden. Das ursprüngliche Hirtendorf hatte weite Wege, der Winter ist sehr kalt, der
Sommer sehr heiß. Die Viehhirten mussten sich in der zerklüfteten Felslandschaft gut auskennen.


Für fremde Herrscher, die sich der Insel bemächtigten, blieb das Bergland meist unzugänglich. Die
Bewohner wehrten sich gegen jede Fremdbestimmung, etwa gegen die Privatisierung von
Weideflächen. Die Orgolesen wehrten sich auch dann noch, als ihr Gegner längst der italienische
Staat des 20. Jahrhunderts war. Ein modernes Rechtssystem und eine von Familienclans über
Jahrhunderte ausgeübte Privatjustiz - das geht wohl kaum zusammen.
Die kriminelle Geschichte des Städtchens auf Sardinien ist so eindrucksvoll wie die politische
Wandkunst. So steht der Ort auch für gemalte Politik.


Etliche Malereien an den Hauswänden zeigen Ereignisse wie das brennende World-Trade-Center, das
Massaker auf dem Tiananmen-Platz, den Krieg im Irak, Schüsse auf einen Jungen im Gazastreifen.
Texte an den Fassaden berichten von den Toten und Verstümmelten des Ersten Weltkriegs, von
Buchenwald, von der RAF. Das ganze Unrecht der Welt scheint hier versammelt. Aber auch Porträts
von Marx, Engels und Lenin wurden an den Häuserwänden verewigt. Als hätte die kommunistische
Idee keinerlei Kratzer erlitten, leuchtet auch der Marxist und Sarde Antonio Gramsci von der Fassade.
Das allererste der Murales genannten Wandgemälde wurde 1968 von der anarchistischen Mailänder
Gruppe Dioniso in Orgosolo gezeichnet. Nachdem er den Film Banditi a Orgosolo gesehen hatte, ließ
sich der der Kommunistischen Partei Italiens nahestehende Zeichenlehrer Francesco del Casino aus
Siena in Orgosolo nieder und begann 1975 in Orgosolo mit Schülern, Bilder an die Wänder der Häuser
zu malen. Anlass war der 30. Jahrestag des Partisanenkampfes gegen den Faschismus. Ihren Anfang
nahmen die Gemälde auf Sardinien aber in dem eher unbekannten Dorf San Sperate. Die
Wandmalereien in Orgosolo drückten zunächst den Protest gegen den geplanten NATOTruppenübungsplatz
auf dem Pratobello aus. Auch gegen die Mailänder Konzern-Chefs, die Gelder
des Aufbauplans für Sardinien veruntreut haben, richtet sich der Protest. Neuere Bildnisse
kommentieren z.B. die Weltpolitik – so wird Helmut Schmidt wegen Stammheim als „Experte in
Sachen Staatsmord“ bezeichnet, ein Sieg der kambodschanischen und vietnamesischen Kämpfer
gegen die USA am 25. April 1978 gefeiert und die Zahl der unschuldigen Opfer für den Sturz Saddam
Husseins wird hinterfragt. Andere Bilder stellen das einfache Hirten- und Dorfleben dar, setzen sich
für die Erhaltung der Sardischen Sprache ein oder enthalten sogar Werbebotschaften. Viele der ca.
120 Murales orientieren sich stilistisch am Kubismus in der Art von Picassos Guernica, aber auch
realistischere Gemälde sind darunter. Neben Francesco del Casino zeichneten unter anderem der
ebenfalls in Orgosolo lebende Künstler und Autodidakt Pasquale Buesca, die Künstlerinnen-Gruppe
"Le Api" und der Mailänder Künstler Massimo Cantoni für die murales verantwortlich. Trotz einiger
Beschädigungen etwa durch Umbauten von Häusern oder Witterung sind alle Murales weitgehend
sehr gut erhalten.


Noch etwas anderes fällt uns bei der Besichtigung auf: die öffentlichen Aushänge - Plakaten gleich –
von Todesanzeigen, mit immer dem gleichen Verstorbenen, der betrauert wird. Mal von Freunden,
Familie, Nachbarn, Kollegen usw. Dies ist ein typischer Kult auf Sardinien, jeder muss zeigen, dass er
den Verstorbenen kannte, der etwas auf sich hält. Anhand der Anzahl der veröffentlichten
Todesanzeigen kann man das Alter und Beliebtheit der verstorbenen Person oder auch einfach nur
die Familiengröße erkennen. Das Banditentum ist inzwischen Geschichte. Die Menschen schauen
zwar grimmig, aber man kann sofort in Kontakt kommen und erlebt höfliche Gastfreundschaft. Einer
unserer Mitreisenden hat kurz vor der Abreise mit dem Bus zurück zum Hotel einen schnellen
Espresso in einem der kleinen Cafés am Marktplatz getrunken. In der Eile vergaß er aber sein
Portmonnaie, darin das gerade am Bankautomaten abgeholte Bargeld für den zweiten Teil der Reise.
Ein aufgeregter Bewohner der Stadt rannte hinter den abfahrenden Bussen her, zu unseren
Reiseleitern und übergab das vollständig gefüllte Portmonnaie an den erschrockenen Reisegast. Also
– von Banditentum keine Spur mehr. Sehr zufrieden und beeindruckt fahren wir nun endlich
gemeinsam mit all unseren Habseligkeiten zurück zu unserem Hotel.

 

III. Tag zur freien Verfügung
Dieser Tag ist zur individuellen Gestaltung der Mitreisenden gedacht. Es ist schön, genau in der Mitte
der Reisezeit eine Besichtigungspause zu haben. So können alle durchatmen, die bisherigen
Eindrücke in Ruhe verarbeiten, den Ort Baja Sardinien und seine Umgebung erforschen oder aber
einfach einen gemütlichen Badetag einlegen. Das herrliche und für diese Jahreszeit noch recht
warme Wetter laden dazu ein. Einige gehen sogar im Meer schwimmen.


IV. Alghero
Auf unserem Ganztagesausflug fahren wir heute gen Westen, auf die andere Seite der Insel. Wieder
können wir die abwechslungsreiche und wunderschöne Landschaft, u.a. an Korkeichenplantagen
bewundern, bis wir zum nächsten Ziel gelangen. Bereits bei der Anfahrt können wir den
kilometerlangen Sandstrand mit seiner an Spanien erinnernden Promenade mit seinen schattigen
Palmen sehen, bevor wir in der Nähe des großen Fischer- und Yachthafens von Alghero anhalten, um
unsere Erkundungen zu Fuß fortzusetzen. Malerisch auf einer Landzunge im Nordwesten Sardiniens
liegt die traditionsreichste Badestadt der Insel, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts für den
Tourismus entdeckt wurde. Dicke Mauern umschließen die Altstadt, die auf einem Felsvorsprung
liegt. Den prachtvollen Eindruck, den die Stadt Alghero schon von weitem macht, schuldet sie vor
allem dieser gewaltigen Stadtmauer mit den massiven Rundtürmen, den Torres. Durch das gewaltige
Stadttor gelangen wir hinein, um gleich an den Ruinen im Eingang stehen zu bleiben. Originale
Wandbearbeitungen von ehemaligen Gefangenen der Gefängniszellen können in den abgebrochenen
Zimmerwänden noch erkannt werden. Alghero wurde 1354 katalanisch. Die Krone Katalonien-
Aragonien, damals beherrschende Macht im westlichen Mittelmeer, nahm die Stadt ein und
kolonisierte sie mit Katalanen nach einem Volksaufstand der ursprünglichen Bewohner, die aus der
Stadt vertrieben wurden. "L’Alguer" war wichtige Festung und Handelsstützpunkt im katalanischaragonesischen
Reich, das sich schließlich mit Kastilien verband. Daher auch der Name „Klein-
Barcelona“. Als 1720 ganz Sardinien an das Haus Savoyen ging, wurde Algheros Verbindung mit
Katalonien gekappt; die Sprache mit dem spanischen Dialekt jedoch hat die Stadt bis heute behalten.
Geschüttelt von Angriffen und Pest, ist die ehemals katalanische Bevölkerung nahezu ausgerottet.
Alghero ist eine Ausnahmeerscheinung: Sie ist keine typisch sardische Stadt. Die fast 400 Jahre
andauernde spanische Herrschaft hinterließ ihre Spuren und ein einmaliges spanisch-sardisches Flair
in der von katalanischer Architektur geprägten Altstadt, dem Centro Storico. Die lichte Altstadt trägt
noch deutlich den Stempel jener Epoche, erinnert etwa an Ciutadella auf Menorca. Mit ihren
schmalen gepflasterten Gässchen, den historischen Prachtfassaden und ihren gotischen und
barocken Kirchen zählt sie zu den schönsten von Sardinien. Die Chiesa San Francesco lohnt ebenfalls
einen Besuch. Das im 14. Jahrhundert im gotisch-katalanischen Stil erbaute Gotteshaus wurde im
16. Jahrhundert mit Architekturformen der Spätrenaissance erweitert. Sehenswert ist besonders der
romanische Kreuzgang aus Sandstein, in dessen schattigem Innenhof im Sommer regelmäßig
Konzerte stattfinden. Gelangt man zur Via Principe Umberto befindet man sich in einer der schönsten
Gassen der Altstadt. Besonders der Palazzo Machin, im 17. Jahrhundert Wohnpalast des Bischofs
Ambrogio Machin, beeindruckt mit seiner Renaissancefassade und den katalanisch verzierten
Fensterrahmen. Die Piazza Sulis bildet das Herz der Innenstadt. Hier trifft sich Jung und Alt in einem
der vielen Cafés, um im Schatten zu plaudern und heute serviert man den Besuchern immer noch
frische Paella. Die verwinkelten Gässchen des Centro Storico mit seinen kleinen Geschäften, Bars und
Lokalen sollte man in aller Ruhe erkunden und genau das machen wir nach der Stadtführung. Die
mächtige Mauerkrone der Stadtmauer lockt zu einem Spaziergang mit atemberaubenden Ausblick
über das Meer bis hinüber zur alles überragenden Felsformation des Capo Caccia. Schmale Gassen
und Steinstufen führen zu den Plätzen und Kirchen. Das kulinarische Angebot ist vielfältig. Berühmt
sind die Korallen von Alghero, wegen ihrer Tönung und Kompaktheit. Die Schmuckstücke aus roter
Koralle sind überall zu finden. Die Stadt ist tatsächlich anders als der Rest Sardiniens, eine Art Insel
auf der Insel.

Die Bewohner sehen sich selbst als offener, flexibler, weltgewandter und begründen das mit der
Hinwendung zum Meer und der langen Tradition Algheros als Ferienort. Im Norden der lange
Sandstrand, im Süden schließt sich eine steile Felsküste an. Hier kann man in zahlreichen kleinen
Badebuchten das Meer genießen. An allen Ecken findet man rosa bemalte Fahrräder an allen
möglichen und unmöglichen Stellen aufgehängt und hingestellt oder andere rosa Accesoires, wie
kleine rosa Apfelkisten, Blumentöpfe oder ähnliches. Grund ist der Hinweis auf die Giro d` Italia. Der
Giro fand beim 100. Mal, insgesamt erst das dritte Mal in seiner Geschichte, auf Sardinien statt -
bestimmt war es nicht das letzte Mal. Unser Reiseleiter erklärt, dass ein Mitglied der Region das rosa
Trikot des Etappensieger (Tagesgewinner) mehrfach erringen konnte und die rosa Fahrräder an die
Ereignisse und den Helden aus Sardinien erinnern sollen, zugleich die Menschen stolz sind, dass
dieses große Ereignis zum dritten Mal in Alghero startete und man sich somit besonders
herausputzen wollte.
Vor der nächsten Etappe unseres Tagesausfluges stärken sich einige von uns in einem
Schnellrestaurant in der Nähe des Hafens, außerhalb der Stadtmauern, namens Bar Focacceria
Milese. Hier gibt es – laut unserem Reiseleiter - die besten „Focacceria’s“, das sind italienische
Sandwiches in allen möglichen Variationen, zu einem sehr günstigen Preis. Dazu ein gutes Ichnusa
Bier und schon kann es weitergehen. Auf dem Weg zwischen Ploaghe und Codrongianus halten wir
an der berühmtesten Kirche der Insel, der Abteikirche Santissima Trinità die Saccargia
(Dreifaltigkeit). Ihre schwarz-weiß gestreifte Fassade erinnert unweigerlich an die Bauweise
toskanischer Kirchen. Das einstig zur Abteikirche gehörende Kloster ist heute gänzlich zerstört. Einer
Legende nach kniete eine gescheckte Kuh regelmäßig zum Gebet nieder, was nicht nur den
dialektischen Namen der Kirche erklärt, sondern auch, weshalb sich am Eingang eine in Stein
gemeißelte Kuh befindet. Am frühen Abend kehren wir zurück zur Nord-Ost-Küste. Auf der Rückfahrt
werden wir mit Anekdoten der italienischen Politik von unserem Reiseleiter unterhalten.


V. Korsika
Wer möchte, kann heute den Zusatzausflug Korsika mitmachen. Diesmal geht es zum nördlichsten
Punkt der Insel Sardiniens, nach Teresa die Gallura. Von dem hübschen Städtchen aus fahren wir ca.
eine Stunde nach Korsika. Die Meerenge, die Sardinien und Korsika trennt, ist nur 12 km breit. Hoch
über dem Meer thront die Festungsstadt Bonifacio auf hellen Kalksteinklippen am Südzipfel Korsikas.
Die bis zu 70m hohen Felswände stürzen senkrecht in das Mittelmeer ab und werden von zahlreichen
Grotten durchzogen. Bereits die Einfahrt ist beeindruckend. Hinter den Kreidefelsen befindet sich der
tief eingeschnittene, gut geschützte Naturhafen der schönsten Stadt Korsikas, Bonifacio, der heute
als Fischer- und Yachthafen genutzt wird. Mit der Fähre legen wir hier an.
Weiter geht es mit einer kleinen Eisenbahn hinauf in die Altstadt von Bonivacio, die auf dem
Kalksteinplateau liegt. Am Ende der Altstadt im Westen beginnt die eigentliche Zitadelle, die den
Großteil der Oberstadt einnimmt. Sie war bis 1983 Stützpunkt der Fremdenlegion und beherbergt
auch heute noch französische Einheiten. Eine der wenigen gotischen Kirchen Korsikas befindet sich
hier, nämlich die Kirche Saint-Dominique aus dem 14. Jhd. Am Ende der Kasernen erreicht man an
der Landspitze den Seefahrerfriedhof Cimitière Marin, der eine eigene kleine Stadt bildet, und die
Kirche des Franziskanerklosters Saint-Francois. Dahinter lohnt sich der Ausblick vom äußersten
Befestigungswall auf die Küstenlinien und lange, lagunenartige Hafeneinfahrt, und man bekommt
einen guten Eindruck von der Größe und Wuchtigkeit der Befestigungsanlagen. Der Rundgang durch
die mittelalterliche Altstadt vermittelt ein eindrucksvolles Bild vom mühsamen Leben in einer über
lange Zeiträume belagerten Stadt. Die Häuser waren oft mit eigenen Zisternen und Vorratskammern
ausgestattet, die oberen Stockwerke waren ursprünglich nur über Strickleitern erreichbar, die in der
Nacht eingezogen wurden. Unter dem Vordach der Kirche Sainte-Marie Majeure, der Loggia, fand im
Mittelalter die Ratsversammlung und die Gerichtsbarkeit statt.

Von den Verbindungsbögen der umliegenden Häuser wurde das Regenwasser zu einer der großen
Zisterne an der Loggia geleitet. Die Straße der zwei Kaiser erinnert mit zwei Plaquen an Charles V.
und Bonaparte. Die heutige Stadt wurde vom toskanischen Grafen Bonifacio di Lucca im Jahre 828
gegründet, der zum Schutz gegen die Einfälle der Sarazenen aus dem Süden eine Festungsanlage
errichten ließ. Im Jahre 1187 gelang es den Genuesen durch eine List Bonifacio einzunehmen. In der
Folge wurden die Bewohner aus der Stadt vertrieben und - der genuesischen Siedlungspolitik
entsprechend - von genuesischen Familien besiedelt. Noch heute wird hier ein ligurischer Dialekt
gesprochen, der von den Korsen außerhalb Bonifacios nicht immer verstanden wird. Die Genuesen
bauten die vorhandene Zitadelle weiter aus und verliehen der Stadt das Münzrecht und eine eigene
Gerichtsbarkeit. Bonifacio entwickelte sich in dieser Zeit zu einer relativ reichen Metropole. Im Jahr
1420 widerstand Bonifacio einem Angriff der Truppen vom spanischen König Aragon, woran heute
noch die Treppe Escaller du Roi d’Aragon erinnert, die von den Spaniern in der Nacht angelegt
worden sein soll. Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung blieb Bonifacio bis 1768 unter der
Herrschaft Genuas. Danach wurde sie, wie auch de Rest Korsikas, französisch. 1793 hielt sich
Napoleon hier auf und bereitete die Invasion Sardiniens vor.
Nach unserer Stadtführung erobern wir die Stadt alleine oder in kleinen Gruppen; natürlich darf eine
kleine Stärkung nicht fehlen. Eine typische Mahlzeit auf Korsika sind überbackene Auberginen oder
Auberginen mit Tomatensauce, dazu Käse und Gnocci – der Hunger für Zwischendurch ist schon
gestillt. Ebenfalls zu empfehlen sind die Weine der Region. Sowohl auf Sardinien als auch Korsika
wird ein besonders edler Tropfen gekeltert. Zurück durch die wunderschönen mit Kopfstein
gepflasterten Gassen, den hoch (bis zu fünf Stockwerken) und eng gebauten Häusern laufen wir die
mittelalterliche breite, gepflasterte, recht steil abfallende Straße hinunter, zurück zum Hafen. Mit
seinen kleinen Cafés, Restaurants und Läden lädt auch die Uferpromenade zum Verweilen ein.
Wieder geht ein besonders eindrucksvoller Tag zu Ende und wir kehren zurück zu unserem Domizil
auf Sardinien.


VI. Gallura, Tempio Pausania
Da an diesem Tage Roberto die Reise nicht begleiten kann, übernimmt die lustige Maria neben
Daniela die Reiseleitung. Auf geht es in den „hohen Norden“ nach Gallura. Die Gallura ist - kurz
gesagt - das Granitvorkommen von Nordsardinien und bildet über weite Bereiche die Oberfläche. Die
kleine Halbinsel bei Santa Teresa Gallura ist ein unglaubliches Naturschauspiel. Vom unerbittlichen
Mistral-Wind und den hohen Wellen verwitterte Tafoni-Felsen bilden bizarre Fabelwesen aus Granit,
bis hin zu außerirdisch wirkenden Täler und traumhaften Sandstränden. Im 18. Jahrhundert wurde
die Gallura während einer Pestepidemie fast entvölkert. Anschließend siedelten Menschen aus dem
gegenüberliegenden Südkorsika in der Region an. Infolgedessen ist der galluresische Dialekt eng mit
dem Korsischen verwandt und hat kaum etwas mit dem Sardischen zu tun. Infolge der über zwei
Jahrhunderte langen Trennung von der übrigen korsischen Dialekten hat er aber eine eigene
Entwicklung genommen. Aber nicht nur Granit sind auf unserer Fahrt zu sehen, sondern auch
Traubenplantagen. Inzwischen zu einem der besten Weingebiete Europas – vielleicht weltweit – hat
sich die Gegend entwickelt. Die Gallura besitzt zudem den größten Bestand an Korkeichenwäldern
ganz Sardiniens, das im Übrigen der größte Korklieferant Italiens ist.
Sitz des Zentrums der sardischen Korkindustrie und Ausrichter der jährlichen Ausstellungs- und
Handelsmesse zu dem begehrten Rindenprodukt ist das unweit von Tempio Pausania anzutreffende
Städtchen Calangianus. Hier findet sich auch die einzige Fachschule für Korkverarbeitung und genau
dort wird unser nächster Halt sein. Mitten im Landesinneren, am Monte Limbara, halten wir im Dorf
Calangianus. Dort begeben wir uns zu einem historischen Gebäudekomplex aus dem 18. Jahrhundert,
zu dem ein ehemaliges Franziskanerkloster und die Kirche Santa Maria degli Angeli gehören.

Im Innenhof werden wir von der Besitzerin des dort beheimateten Korkmuseums empfangen.
Zunächst bekommen wir in kleinen Gruppen erklärt, wie der Kork von den Bäumen gewonnen wird
und wie aufwändig und mühsam es ist, dafür zu sorgen, dass der Kork mit hoher Qualität wächst und
auch in dieser Qualität geerntet wird. Im Alter von ca. 25 Jahren wird eine Korkeiche das erste Mal
geschält, weitere Schälungen erfolgen erst wieder nach einem Zeitraum von mindestens 9 Jahren
und werden staatlich überwacht. Die geschälte Rinde wird geschrotet und unter Zugabe von
Bindemitteln zu großen Blöcken gepresst. Diese werden in der gewünschten Stärke geschnitten und
nach ausreichender Lagerzeit wird das wertvolle Produkt weiterverarbeitet. Im Erdgeschoss, in den
charakteristischen Zellen, wo die Mönche einst lebten, sind die alten Maschinen und Werkzeuge für
die Verarbeitung des Korks ausgestellt. Aber auch viele der Erzeugnisse bekommen wir zu sehen. Von
der Entwicklung und Bedeutung des Korks für die Region sind wir beeindruckt. Aber auch von der
Vielfältigkeit des Naturprodukts. Nicht nur die uns bekannten typischen Flaschenkorken werden
hieraus hergestellt, sondern auch Kleidung, Schuhe, Möbel, Spielsachen, Fliesen, Tapeten, Statuen,
Untersetzer, verschiedene Kochutensilien und vieles mehr. Wir kommen aus dem Staunen gar nicht
mehr heraus. Kork hat viele positive Eigenschaften. Er ist natürlich und ökologisch als
nachwachsender Rohstoff, warm, robust und pflegeleicht durch seine hohe Elastizität und
Oberflächenbehandlung, leise und rückenschonend dank der bereits genannte Elastizität (wenn er als
Bodenbelag verarbeitet wurde). Wie ein Korken in der Flasche wiederverwendbar ist – dieses
Geheimnis wurde den Mitreisenden verraten. Einige von uns schauen sich noch kurz die neben den
Gebäudekomplexen liegende Kirche Santa Maria degli Angeli an. Fasziniert geht es weiter zum
nächsten und letzten Besichtigungspunkt unserer Reise.
Auf geht es in Herz der Gallura. Inmitten eindrucksvoller Granitfelsen, wilder Macchia und Wäldern
aus Kork- und Steineichen, liegt Tempio Pausania. Wir fahren an dem Kopfbahnhof vorbei und
erklimmen die Stufen hoch zum Stadtzentrum. Der denkmalgeschützte Bahnhof wurde Ende der 30er
Jahre erbaut. Der Bahnhof selber liegt im Tal unterhalb des großen Largo XXV Aprile.
Piazza Gallura.
Man ist sofort fasziniert von dem auffälligen Kontrast zwischen der Lieblichkeit der Landschaft und
der Strenge der Granitbauten. Das historische Zentrum mit seinen Granithäusern, oft mit
schmiedeeisernen Balkongeländern und Blick auf gepflasterte Straßen, bietet viele schöne Ecken.
Berühmt ist die Stadt aber auch für ihre Mineralquellen, deren Wasser z. T. in Flaschen gefüllt und
auf ganz Sardinien angeboten wird. An der Piazza San Pietro stehen drei Kirchen: die Chiesa Santa
Croce, das Oratorio del Rosario und die Cattedrale San Pietro. Die Kathedrale ist die größte Kirche
von Tempio Pausania und auch diejenige mit der prächtigsten Einrichtung. Der Bau stammt aus dem
15. Jahrhundert. Später wurden an der Fassade bunte Mosaike angebracht. Der Eingang liegt etwas
versteckt an der Westseite. Tempio Pausania wurde zur Römerzeit gegründet, auch wenn die ersten
Ansiedlungen auf die nuraghische und prenuraghische Zeit zurückgehen (3000 v.Chr. und 1600
v.Chr.), belegt durch das Vorhandensein einiger sehr gut erhaltenen Nuraghen, wie z.B. die Nuraghe
Majori. Die wachsende Bevölkerung und die erstarkende Wirtschaft machten Tempio Pausania im
Laufe der Zeit zu einem der mächtigsten Orte Sardiniens. Noch heute huldigt Tempio Pausania seiner
historischen Vergangenheit und kann sich zahlreicher ökonomischer, landschaftlicher und
touristischer Ressourcen rühmen. Bekannt ist der Ort für seine ausgezeichneten Muskat- und
Vermentinoweine, seine Heilquellen und sein angenehmes Klima. Eine Attraktion sind die
Karnevalsumzüge im Februar mit prächtigen Wagen zu satirischen Themen. Die Stadt ist außerdem
Bischofs- und Gerichtssitz.
Leider mit viel zu wenig Zeit streifen wir durch das hübsche Städtchen, essen ein Eis oder trinken
einen schnellen Espresso und schoppen in den vielen kleinen Ladenlokalen.

Der zweite Teil des Tages steht uns allen zur freien Verfügung. Diese Zeit wird ausgiebig für den
Strandbesuch, den Bummel durch das Städtchen, Gespräche auf der Hoteleigenen Terrasse oder
andere Vergnügungen genutzt. Nachmittags treffen wir uns erneut in der Hotel-Lobby, um
Vertreterinnen der örtlichen Politik zu begegnen und mit ihnen zu diskutieren.
Die stellvertretende Bürgermeisterin Cristina Usai und Sozialdezernentin Gabrielle Demuro der
Kommune Arzachena in Sardinien sprachen mit uns offen und interessiert über das sardinische
Gesundheits- und Sozialwesen, Bildungsmöglichkeiten, Kindergärten, Rolle der Frau auf Sardinien,
wirtschaftliche Entwicklungen und ökologische Probleme. In der lockeren Atmosphäre fühlten sich
Politikerinnen und Reisenden gleichsam wohl. Dies war ein sehr gelungener Abschluss unserer Reise.
In der örtlichen Zeitung gab es später einen Presseartikel über dieses informelle aber sehr
informative Treffen mit Foto.


… und dann hieß es leider Abschied nehmen. Eine wundervolle Woche liegt hinter uns und viele
freuen sich schon auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr an einem anderen Ort.
Bericht von Bianca Seeger
(im Oktober 2017)