Menschenhandel ist moderne Sklaverei zu Lasten von Mädchen und Frauen im 21. Jahrhundert: Schluss damit!

03.08.2020

Prostitution, Zwangsprostitution, Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung – drei Themen verlangen Differenzierung statt Einheitsantwort. Nach dem die Frauen Union Nordrhein-Westfalen die Einführung eines „Sexkaufverbotes“ in der Bundesrepublik Deutschland ablehnt, legt der Landesvorstand der Frauen Union Nordrhein-Westfalen nun beim Thema Menschenhandel nach.

Ina Scharrenbach, Landesvorsitzende der Frauen Union Nordrhein-Westfalen: „Menschenhandel ist moderne Sklaverei zu Lasten von Mädchen und Frauen im 21. Jahrhundert. Menschenhandel ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die mit dem Handel der ‚Ware Mensch‘ einhergeht.  Der rechtliche Rahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel in der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit 2015 erheblich weiterentwickelt. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland dürfen jedoch in ihren Bemühungen zur Beseitigung des Menschenhandels nicht nachlassen. Angesichts weltweiter Wanderungsbewegungen werden gerade viele Mädchen und Frauen auf ihrer Flucht Opfer von Menschenhandel. Menschenhandel ist jedoch nicht nur durch Migration aus Entwicklungs- und Krisenländern bedingt. 70 Prozent der Opfer und Täter in der EU sind EU-Bürgerinnen und -Bürger.“

Im Jahr 2018 wurden bundesweit insgesamt 356 Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung polizeilich abgeschlossen (2017: 327 Verfahren; +8,9 %).
Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurden im Jahr 2018 insgesamt 430 Opfer in den Verfahren des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung festgestellt. Die Opfer waren fast ausschließlich weiblich (413 Opfer; 96,0 %). Insgesamt 14 Opfer waren männlich, bei drei Opfern wurde das Geschlecht nicht erfasst1. Fast jedes zweite festgestellte Opfer von sexueller Ausbeutung war unter 21 Jahre alt (198 der insgesamt 417 Opfer mit bekanntem Alter; entspricht 47,5 %; 2017: 45,8 %).1

Der Anteil der Ermittlungsverfahren, in denen ausschließlich deutsche Opfer betroffen waren (66 Verfahren), betrug 18,5 % (2017: 65 Verfahren; 19,9 %). Neben deutschen Staatsangehörigen wurden im Rahmen der Ermittlungen vielfach Opfer mit bulgarischer (66 Opfer; 15,3 %) und rumänischer Staatsangehörigkeit (63 Opfer; 14,7 %) festgestellt. Diese drei Nationalitäten wurden bereits in den zurückliegenden Jahren am häufigsten registriert .

Der Aspekt der Kontaktinitiierung zwischen Opfern des Menschenhandels und der Polizei spielt eine wichtige Rolle. Wie in den Vorjahren erfolgte die Kontaktinitiierung in der Mehrzahl der Fälle seitens der Polizei (196 Verfahren; 55,1 %). In 160 Verfahren (44,9 %) kam der Kontakt auf Initiative der Opfer zustande. Dabei offenbarten sich die Opfer im Vergleich zum Vorjahr häufiger, wenn sie in Begleitung von Mitarbeitern von Fachberatungsstellen und/oder sonstiger Dritter, wie z. B. anderer Prostituierter oder Freier, Kontakt zur Polizei aufnahmen (2018: 90 Verfahren; 2017: 51 Verfahren)1.

Scharrenbach weiter: „Ziel des staatlichen Handels muss es sein, den Menschenhandel als Form der modernen Sklaverei wirksam zu unterbinden. Frauen und Mädchen werden über das Internet angeworben, von Familienangehörigen zur Prostitution gezwungen, gehen angeblichen Model- und Künstleragenturen auf den Leim: Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung geht mit massiven Druck durch die Täter einher. Und es ist unvorstellbar, aber auch Frauen gehören zu den Tätern. Nur ein wirksames und dauerhaftes Maßnahmebündel wird aus Sicht der Frauen Union Nordrhein-Westfalen dazu beitragen, den Menschenhandel an die Kette zu legen.“

Aus Sicht der Frauen Union Nordrhein-Westfalen umfasst dieses Maßnahmebündel die folgenden Punkte:

1. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird gebeten, weiter dafür Sorge zu tragen, dass im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt mit den Haupt-Herkunftsländern von Opfern des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung kooperiert wird und gemeinsam mit der Europäischen Union und den Vereinten Nationen sowie den NROs Maßnahmen für die (Aus-)Bildung von Mädchen und Frauen verbessert werden.

Sowohl der Zweite Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1325 der Vereinten Nationen zu Frauen, Frieden und Sicherheit (2017 – 2020) als auch die Genderinitiative der Europäischen Union und der Vereinten Nationen zur Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, welches von Seiten des Bundes mit rund 100 Millionen Euro maßgeblich mitfinanziert wird, sind wichtige Schritte, um für Mädchen und Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit sowie zur Verbesserung der politischen Teil-habe von Frauen. 

Vor dem Hintergrund, dass rund 70 % der Opfer und Täter in der Europäischen Union zugleich Unionsbürgerinnen und -bürger sind, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die (Aus-)Bildungschancen von Mädchen und Frauen in der Europäischen Uni-on zusammen mit den Mitgliedstaaten verbessert werden.

Es ist begrüßenswert, wenn die grundsätzliche Bereitstellung von europäi-schen Fördermitteln davon abhängig gemacht werden würde, dass die Mitgliedstaaten Mädchen und Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Ausbildung, Studium und in der Folge zu Arbeit und einem selbst-bestimmten Leben ermöglichen.

2. Die Bundesregierung soll die Bekämpfung dieser Kriminalitätsform als Schwerpunktbereich mit dem Ziel der Umsetzung bestmöglicher Bekämpfungsmaßnahmen   in   den   politischen   Fokus   nehmen, alle bestehenden Regelungslücken schließen sowie die Rahmenbedingungen entscheidend verbessern. Hierzu gehört auch eine Erhöhung der Kontrolldichte durch die Bundespolizei, die jeweilige Landespolizei und den damit zusammenarbeitenden Behörden zur Aufdeckung und Unterbindung Menschenhandel.

Die Frauen Union Nordrhein-Westfalen weist darauf hin, dass Frauen auch von der Ausbeutungsform der    Zwangsarbeit/schweren    Arbeitsausbeutung - gerade in „unsichtbaren“ Bereichen wie der Pflege und den haushaltsnahen Dienstleistungen - überproportional betroffen sind.

3. Die jüngsten Verbesserungsmaßnahmen bei der Bekämpfung des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen sind maßgeblich auf den Einfluss zwingenden EU-Rechtes, der Politik der EU-Kommission zur Bekämpfung des Menschenhandels und auch der Konvention des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels zurückzuführen. Im Hinblick auf weibliche Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung bittet die Frauen Union Nordrhein-Westfalen

a) die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dafür Sorge zu tragen, dass endlich die Empfehlungen zur Erstellung eines bundeseinheitlichen nationalen Aktionsplans oder einer nationalen Strategie umgesetzt werden, wie diese zuletzt erneut im Zweiten GRETA-Bericht vom 18. Oktober 2019 eingefordert wurde,

b) die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dafür Sorge zu tragen, dass die Bundesregierung zügig den weiteren noch ausstehenden Empfehlungen der EU bzw. des Europarats zu folgt, und endlich zeitnah die Einrichtung einer sich seit Jahren in Diskussion befindenden nationalen Berichterstatterstelle und einer Koordinierungsstelle „Menschenhandel“ umsetzt,

4. Die Nichtbestrafung von Opfern des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung für Straftaten, die sie aus ihrer Zwangslage heraus begangen haben, ist eines der wichtigen Anliegen europarechtlicher und völkerrechtlicher Vorgaben des Schutzes von Opfern des Menschenhandels.

Die Schaffung bundesweit einheitlicher und eindeutig vorhersehbarer Voraussetzungen würde sich entscheidend auf das Sicherheitsgefühl der Opfer auswirken. Es ist davon auszugehen, dass sich damit auch die Aussagebereitschaft insgesamt erhöhen wird.

Die Frauen Union Nordrhein-Westfalen bittet die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu prüfen, ob und inwieweit die gesetzlichen Bedingungen, die zum Ziel haben, die Bestrafung von Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zu verhindern, verändert werden können, um die Situation der Opfer bestmöglich zu gestalten.

5. Die Bedarfe bei der Unterbringung von Opfern der sexuellen Ausbeutung sind gesondert in den Blick zunehmen. In einigen Fallkonstellationen der kurzfristigen Versorgung und anonymen Unterbringung dieser Opfergruppe, treten die spezialisierten Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung in Vorleistung bei der Finanzierung der Unterbringung oder tragen das Finanzierungsrisiko in Fällen, in denen Frauen aus der Unterbringung abtauchen.

Die Frauen Union Nordrhein-Westfalen bittet die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu prüfen, ob und inwieweit die Bundessozialleistungsgesetze derart verändert werden können, dass den spezialisierten Fachberatungsstellen in den aufgezeigten Fallkonstellationen ein Finanzierungsweg eröffnet werden kann. In Verbindung mit den anderen vorgeschlagenen Maßnahmen kann dies ferner dazu beitragen, dass sich die Aussagebereitschaft von Opfern von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung weiter erhöht.


Hintegrund:
Die Verteilung der 356 Verfahren des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung auf die Länder entspricht weitgehend der des Vorjahres. Über die Hälfte der Verfahren wurde in Nordrhein-Westfalen (97 Verfahren), Berlin (64 Verfahren) und Bayern (42 Verfahren) geführt.

Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wegen Straftatbeständen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sind oftmals weitere Deliktsbereiche betroffen. So wurde im Jahr 2018 in 165 der insgesamt 356 Verfahren wegen sexueller Ausbeutung (46,3 %; 2017: 48,0 %) in Verbindung mit weiteren Straftaten ermittelt. Die Anzahl der Begleitdelikte stieg im Berichtsjahr auf 243 an (2017: 217; +12,0 %).3 Hauptsächlich handelte es sich, wie auch in dem Jahr davor, um Gewaltdelikte und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.